Ja, ich habe Angst. Vor so vielen Situationen. Vor so vielen Gedanken. Vor so vielen Erinnerungen. Vor solchen Momenten, die
anderen ein Lächeln kosten, aber mich immer wieder in angstvolles Chaos stürzen. Nun müssen wir jedoch unterscheiden lernen zwischen einer Angst, die uns auf eine Gefahr hinweist und unsere
natürliche Fluchtreaktion auslöst, um uns zu schützen. Und vor einer Angst, die auftaucht, weil in unserem Unterbewusstsein Mechanismen in Gang sind, die aus der Vergangenheit immer wieder
aufleben und sich in die Zukunft projizieren, die dann wie durch einen Filter genauso beängstigend angenommen wird wie jenes Erlebnis, das ganz tief in uns sitzt und noch nicht bewusst werden
durfte.
In dem Fall, wenn Angst tatsächlich ein Warnsignal darstellt, werden wir ohne darüber nachzudenken einfach weglaufen. Dann
braucht es kein Überlegen und Abwägen, sondern die Beine setzen sich ganz von allein in Bewegung, der Finger nimmt sich ganz von allein unter dem Hammer weg, der Kopf zieht sich ganz von
allein aus der Schlinge, bevor sie sich schließt.
Grundsätzlich gilt: Wenn Angst da ist, ist sie da – und darf es auch sein, denn sie möchte als Emotion gelebt werden. Es ist
wichtig, sie nicht wegschieben zu wollen und dadurch in einen Widerstand zu gehen, der uns nur noch weiter in die Enge treibt, sondern sie uns anzuschauen und tiefer hineinzuhören, ob wir ihr
vielleicht etwas zuschreiben, was ihr nicht entspricht. Mit ihr etwas verbinden, was in uns noch nicht ans Licht kommen durfte. Denn wenn Angst als Emotion einfach nur wie eine Wolke am
Himmel vorüberziehen darf, hat sie ihr eigenes kleines Leben schon gelebt – und das ist alles, was sie möchte.
Ist es aber ein altes Muster, eine Erinnerung, die wir mit ihr verknüpfen, beginnen wir uns gedanklich hineinzuverwickeln und
ein Szenario vor unserem inneren Auge entstehen zu lassen, das die Zukunft genauso schwarz malt wie es irgendwann in der Vergangenheit einmal gewesen sein mag. Und plötzlich ist da nicht nur
Angst als Emotion oder als Warnsignal vor Gefahr, sondern plötzlich haben wir gedanklich Angst vor etwas, das in der Zukunft eventuell so auftreten könnte, wie wir uns das in unserer Fantasie
vorstellen – was aber nicht so auftreten muss und in den meisten Fällen auch nicht so auftreten wird.
Wenn wir gedanklich Angst vor etwas haben, sind wir Gefangene unseres Verstandes, der uns vorgaukeln möchte, dass wir mit einer
Situation oder einer Begegnung nicht umgehen können und uns hüten müssen, weshalb wir den Rückzug antreten und uns zurückhalten, uns selbst blockieren. Aber wie das Wort an sich schon zeigt:
Angst VOR etwas heißt, dass diese Angst schon da ist, beVOR eine dazu passende Situation auftritt. Und das ist nur möglich, wenn wir sie uns herbeidenken. Wenn wir mit einer Angst, die als
Emotion einfach nur so auftaucht, einen Gedanken, ein Glaubensmuster, eine Erinnerung verknüpfen oder uns selbst zurückkatapultieren in eine Situation, die uns noch nicht losgelassen
hat.
Angst VOR etwas haben bedeutet also immer, etwas gedanklich VOR-wegzunehmen und es unter ein negatives Licht zu stellen. Wir
glauben, dass es so kommen könnte, wissen aber noch gar nicht, ob es jemals so sein wird. Denn in Wahrheit könnte alles auch ganz anders kommen, es könnte sich alles zum Guten wenden, wir
könnten stärker sein, als wir vermuten, und die Situation mit links schaukeln, der Tag könnte ganz anders verlaufen, die Begegnung oder die schon lange anstehende Aussprache könnte sich ins
Positive entwickeln, alles könnte sich von alleine in Luft auflösen oder es könnte gar ohne uns zu tangieren an uns vorüberziehen. Doch weil wir in unserem Kopf Angst als Emotion mit einem
vergangenen Erlebnis verbinden, somit Angst VOR einer zukünftigen, möglicherweise eintretenden Situation bekommen und der Körper auf dieses Denken mit den entsprechenden Symptomen wie
Herzrasen, feuchten Händen, Schwitzen, aufwallender Hitze, zittrigen Knien, Schwindel, Kurzatmigkeit usw. reagiert, glauben wir, dass es tatsächlich etwas zu fürchten gäbe – und bleiben in
unserem sicheren Nest sitzen, halten uns zurück, treten die Reise nicht an, scheuen die Veränderung, untergraben unser Potenzial und unterschätzen unsere Kraft.
Wir beginnen uns als eine ängstliche Person zu sehen, als Angsthasen, und nehmen eine Rolle ein, die unserem wahren Sein in
keinster Form entspricht. Dabei haben wir einfach nur vergessen, Angst als das zu spüren, was sie ist. Entweder eine Emotion, die gelebt werden möchte, oder ein Signal, das unseren Körper wie
von selbst in Bewegung setzt, um einer Gefahr zu entgehen.
Ja, ich hatte und habe Angst, weil auch ich begonnen habe, mir angstvolle Situationen herbeizudenken, mir auszumalen, dass
etwas Schlimmes passieren könnte, mir einzubilden, dass das Leben es nicht gut mit mir meint, zu glauben, dass ich ein Angsthase bin, weil ich eine Zeit lang tatsächlich vergessen hatte,
welche Kraft und Stärke in mir steckt und nicht darauf vertrauen konnte, dass mir das Leben immer nur solche Situationen schickt, mit denen ich auch umgehen kann.
Angst VOR etwas ist also eine VOR-stellung, die ver-stellt, was wir in Wahrheit SIND und was Angst in Wahrheit ist.
Durchschauen wir den Schwindel! Schauen wir hin - es ist Zeit, weiterzugehen!
#enttarnedieangst #rausausdemversteck